Magazin Süddeutsche Zeitung 1, 15. Januar 2020, 22:07 Uhr
Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck
Kunst: Bloß nicht nach der Staatsdoktrin
Das Museum Fürstenfeldbruck gewährt mit der Ausstellung "Non Konform" einen seltenen, absolut sehenswerten Einblick in die russische Gegenwartskunst, die sich dem Sozialistischem Realismus entgegengestellt hat
Zwar ist es nun mehr als 30 Jahre her, dass die Mauer gefallen ist und sich die Grenzen zwischen Ost und West geöffnet, Annäherung und Auseinandersetzung begonnen haben. In der bildenden Kunstallerdings ist das, was in der ehemaligen Sowjetunion entstanden ist, in Deutschland so gut wie unbekannt. Sicher, in bestimmen Kreisen trifft es auf Interesse. Aber Öffentlichkeit, große Ausstellungen, eine konstante Auseinandersetzung, das findet nicht statt. Russische Kunstgeschichte endet im Großen und Ganzen immer noch mit Emigranten wie Kandinsky und Chagall und den Avantgardisten um Kasimir Malewitsch in den Zwanzigerjahren. Das ist umso erstaunlicher, wenn man beachtet, dass es in der Sowjetunion nicht nur den staatlich verordneten Sozialistischen Realismus gab , sondern eine lebendige Gegenbewegung, die auch als Nonkonformismus zusammengefasst wird.
Unter eben diesem Titel, "Non Konform", zeigt das MuseumFürstenfeldbruck im Kunsthaus nun Werke von acht Künstlern, die in der Tradition dieser seit Mitte der Fünfzigerjahre formierten Bewegung stehen. Die präsentierten Bilder stammen aus der Sammlung der Bruckerin Lusine Breitscheidel, die sich seit vielen Jahren intensiv mit der Szene beschäftigt und alle der ausgestellten Künstler persönlich kennengelernt hat. Breitscheidel selbst ist 1972 in der damaligen Armenischen Sowjetischen Republik, dem heutigen Armenien, als Tochter eines Künstlers geboren. Dass sie nun ihre Sammlung gemeinsam mit dem Museum der Öffentlichkeit präsentiert ist ein Glücksfall. Bekommen die Besucher so doch die Chance, eine neue Welt kennen zu lernen, und dabei nicht nur unbekannte Werke zu entdecken, sondern auch etwas über die sowjetische- und postsowjetische Gesellschaft abseits des staatlichen Korsetts zu erfahren.
Denn bei den Nonkonformisten geht es, anders als der Name vermuten lässt, nicht in erster Linie um politische Kunst, mit der das System bekämpft werden soll. Natürlich findet sich auch diese, ganz explizit bei Valery Valius, in seinem Gemälde "Unsere Lokomotive" von 2003. Es zeigt eine rote Lok mit dem Antlitz von Lenin, umhüllt von Stacheldraht, die von zwei Pollern auf der Schiene gestoppt wird. Vorne am Zug ist das Schild einer Planierraupe angebracht - eine Erinnerung an die sogenannte Bulldozer-Ausstellung vom 15. September 1974, bei der nonkonforme Künstler im Freien ihre Werke zeigen wollten, die dann von der Staatsmacht unter anderem mit Bulldozern zerstört worden sind.
So steht die Bezeichnung "non konform" mehr für die persönliche Haltung der Künstler und nicht für die behandelten Themen. Es geht um individuelle Ansätze, die sich gegen die offiziellen Stilvorgaben, Anpassung an Erwartungen und geistigen Konformismus wenden. Für ihre Haltung mussten die Künstler oft einen hohen Preis zahlen: Ausschluss aus dm Künstlerverband, kaum Zugang zu Material, keine Zuschüsse, keine Ausstellungen, Diffamierung für die Presse.
Geschichte von Nikita Knikta und seinem Vater Vladimir Kurdyukov. Knikta erkrankte kurz nach seiner Geburt 1979 an zerebraler Kinderlähmung, mit den körperlichen Behinderungen, die diese Krankheit nach sich zieht, hätte er im sozialistischen Russland nie Dass non konform noch etwas anderes bedeutet, erzählt die Künstler werden können. Obwohl er mit Hilfe seines Vaters Vladimir in jahrelangem, intensivem Training sein Talent entwickeln konnte, wurde ihm der Zugang zur staatlichen Kunsthochschule verwehrt. In München allerdings wurde sein Talent erkannt, er wurde an der Akademie aufgenommen. Eines der von ihm ausgestellten Bilder zeigt ein Motiv aus Kniktas Lieblingsroman: Don Quijote. Seine wilde, kraftvolle Technik erinnert an den Neoexpressionismus, es sind Bilder, die bei aller Verzweiflung auch Hoffnung ausstrahlen. Knikta, der bereits zugesagt hatte, an der Eröffnung der Ausstellung teilzunehmen, ist Ende Dezember an den Folgen seiner Krankheit verstorben.
Einige der ausgestellten Künstler sind früh in den Westen gegangen, manche dort geblieben, andere nach dem Ende der Sowjetunion zurückgekehrt. Sie stammen aus Moskau und Petersburg, Kasachstan und dem Kaukasus. Insgesamt sind 70 Bilder zu sehen. Einer der Künstler, die geblieben sind, ist Alexander Ossipov. Seine Bilder, die an sakrale Glasfenster erinnern mit ihren vielen kaleidoskopischen, kleinen Farbflächen, beschäftigen sich oft mit der kulturellen Identität seines Landes. Nicht umsonst erinnern sie stark an die orthodoxe Ikonenmalerei. Non konform, das kann also auch traditionell bedeuten.
Ausstellung "Non Konform", Kunsthaus Fürstenfeld, Eröffnung am Freitag, 17. Januar, zu sehen bis 19. April. Vernissage an diesem Donnerstag von 19 Uhr an. Der Katalog kostet 8,90 Euro.